Trabanten

 

Der Film „Trabanten“ zeigt fragmentarische Ausschnitte der Lebensgeschichten und Lebensräume von Frauen zweier Generationen im Spiegel der medialen Vermittlung von Zeitgeschichte und propagierten (Frauen-) Bildern. Gedanklicher Ausgangspunkt und Drehort ist die „Unité d‘Habitation“ Typ Berlin, die 1958 als zukunftsweisendes Bauvorhaben fertig gestellt und bezogen wurde. Fahrten durch Wohnungen und Flure und ausschnitthafte Spielfilmszenen, die auf der Grundlage von Interviews mit Bewohnerinnen entwickelt wurden, erzählen von Frauen aus unterschiedlichen Generationen, deren Erinnerungen, Einschätzungen und Zeiten. Die Protagonistinnen brechen von den standardisierten Wohnungen aus in ungesicherte Räume auf.

In zeichenhaften Bildern werden in den Wohnungen kurze Momente der Frauenleben inszeniert, die für unterschiedliche Lebensstationen, Konflikte und Lösungen stehen. Für die erkämpften, kompromisslerischen und auch zufälligen Lebensentwürfe, die sowohl gesellschaftlich als auch individuell gesteuert sind, stehen exemplarisch die Biographien der drei Hauptfiguren. Die Protagonistinnen, zwei Erstbewohnerinnen der Unité und eine Frau aus der Generation ihrer Töchter, finden sich in ähnlichen Situationen wieder und versuchen doch eigene Wege zu gehen.

Die Frauen haben Auftritte, laufen gegen Wände, strecken sich zur Decke, kämpfen gegen Sprachlosigkeit und sind sprachlos, suchen nach der verlorenen Erinnerung an ihre täglich anwesende Mutter, nehmen Standpunkte ein und lassen sich nicht festnageln, proben den Aufstand, lassen die Enge der Familie abrupt hinter sich, um sich ihr 40 Jahre lang wieder langsam zu nähern, wollen möglichst schnell erwachsen werden und trauen keinem über 30, wagen im Alter den Sprung in den Beruf und ins Internet, plaudern auf den Hausparties und mit dem Fernseher, ihrem täglichen Begleiter.

Aus einigen Episoden alltäglichen Lebens entwickeln sich nahezu surreale Szenen, die auf kleine Fluchten, tatsächliche Freiheiten und Utopien verweisen. Allegorische Bilder von Auflösungen, Ambivalenzen, Emanzipationen und Backlashs der Nachkriegsjahrzehnte ziehen in der Kulisse des modernistischen Bauens in einem bilderbogenartigen Panorama vorbei.

Die unterschiedlichen Kapitel des Filmes werden von einer Personengruppe im Anzug in den halböffentlichen Räumen der Wohnmaschine eröffnet. Diese Gruppe bildet den Chor, der, ähnlich wie in der antiken griechischen Tragödie, durch das Zitieren unterschiedlicher Medientexte auf gesellschaftliche und politische Ereignisse und Haltungen der Zeit hinweist. Obwohl die Personen in Le Corbusiers „Uniform für den Mann“, dem englischen Anzug, auftreten, werden sie so in Szene gesetzt, dass Rollenzuschreibungen von Männern während der letzten 50 Jahre ablesbar werden. Äußert sich der Chor in korrekter Haltung und Formation zu Gesetzestexten der 50er Jahre, so haben sich bei der Wiedergabe einer Prioritätenumfrage Ende der 70er Jahre längst die Krawatten gelöst und die Körper deuten die unterschiedlichen Posen an, die in den 90er Jahren vollendet werden.

Der Film Trabanten ist als kontinuierliche Kamerafahrt durch die Wohnmaschine angelegt. So entsteht der Eindruck, dass sich die Kamera in einer Art Filmstreifen durch die Zeit und durch die Wände hindurch durch das Haus bewegt. Die einzelnen Bilder – Einblicke in die Räume und in die Leben – sind kurz und ausschnitthaft, ähnlich wie der Blick in das Fenster eines Nachbarn.



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